Sensei Funakoshi meint mit diesem, seine elften Leitsatz, dass Fortschritt im Budo nur mit Gleichmäßigkeit und Beständigkeit in der Übung zu erhalten ist.
Die Kampfkünste erfordern ein regelmäßiges Training. Nur mit Selbstdisziplin, Beständigkeit und Ausdauer sind sie zu erlernen. Dies ist eine Grundregel, die vor allen anderen steht. Wenn sie vom Schüler nicht beachtet wird, ist jede Bemühung um Fortschritt vergeblich. Schüler, die ihre Trainingszeiten nicht einhalten und oft fehlen, weil sie anderweitig beschäftigt oder zu bequem sind, sind schlechte Schüler. Es ist vollkommen egal, wie sie ihr Versäumnis begründen. Wenn sie nicht üben, können sie nicht lernen. Es gibt nichts, aus dem mehr herauskommt, als man hineingibt. Deshalb ist es falsch zu denken, dass ein Anspruch auf etwas dadurch gerechtfertigt bleibt, dass man plausible Gründe für die Versäumnisse findet. Wenn ein Mensch sich mit Aufgaben überlädt, deren Bewältigung ihm mehr Kraft kostet, als er hat, wird er auf Resultate verzichten müssen.
Aufgrund der falschen Selbsteinschätzung setzt sich der Mensch zu viele Ziele und kann dann keins davon erreichen. Auf diese Weise stürzen sich manche Menschen auf alle ihnen etwas Wert erscheinenden Angebote des Lebens und verlieren dann, unfähig, sich wirklich dazu zu bekennen, die Kontrolle über ihre Ziele. Wenn solche Menschen in ein Dojo kommen, müssen sie Selbstdisziplin lernen, denn ihre Haltung ermöglicht ihnen keinen Fortschritt. Viele Ziele anzustreben, zu deren Bewältigung die Kraft oder die Disziplin nicht reicht, bringen keine Erfolge.
Disziplinierter Selbstumgang ist im Budo eine Übung, die noch vor allem anderen kommt. Auf welche Weise ein Schüler übt und wie regelmäßig er am Unterricht teilnimmt, ist entscheidend für jeden weiteren Schritt. Wie zuverlässig er ist, ob er sich zum Beispiel abmeldet, wenn er für längere Zeit nicht kommen kann, oder ob er sich entschuldigt, wen er unvorhergesehen gefehlt hat, beeinflusst die für jedes Wachstum nötigen Voraussetzungen. Doch er wird nicht dazu aufgefordert, es zu tun oder zu lassen. Es liegt an ihm, für welches Verhalten er sich entscheidet. Der Lehrer wird ihm diese Verantwortung nicht abnehmen, doch er wird sehr genau darauf achten, wie der Schüler damit umgeht.
Die Selbstdisziplin ist die Grundlage für jeden Fortschritt und die beste „Flamme zum Warmhalten des Wassers“. Man geht in ein Dojo, weil man sich etwas davon verspricht. Doch man muss zuverlässig sein und die rechte Haltung mitbringen, denn dort trifft man Menschen, auf die man angewiesen ist und von denen man dasselbe erwartet. Um ihnen in der rechten Weise begegnen zu können, muss man sich auch im alltäglichen Leben zur Ordnung erziehen und seine Probleme mit Disziplin und Verantwortung lösen. Ist dies nicht der Fall, wird das Wasser jedes Mal kalt, und man muss es immer aufs Neue erwärmen.
Artikel aus: Der geistige Weg der Kampfkünste von Werner Lind