Der Begriff Zanshin (jap. 残心) ist vielen Japanern nicht geläufig und wird dann durch Lesung der Kanji (chinesische Silbenzeichen) als „gebrochenes Herz“ verstanden. In Verbindung aber mit zen-buddhistischen Meditationstechniken wie Teezeremonie, Ikebana und in vielen japanischen Kampfkünsten wird der Begriff Zanshin vollkommen anders übersetzt. Einige Übersetzungen aus dem Bereich des Budo sind:
Aus diesen verschiedenen Übersetzungen wird klar, das Zanshin nicht nur eine körperliche Haltung ist, sondern geistige Aspekte die gr ößere Rolle spielen. Nach außen hin ist Zanshin von neutralem Ausdruck, bestimmt durch korrekte Haltung (Shisei), korrekte Augenkontrolle (Metsuke), korrekten Abstand zum Gegner (Maai). Eine starre aggressive und verspannte Haltung des K röpers oder ein grimmiger Gesichtsausdruck sind das Gegenteil von Zanshin. Die vielen verschiedenen Übersetzungen weisen alle auf den geistigen Aspekt von Zanshin hin. Im übertragenden Sinn bedeutet Zanshin die Geistesgegenwart und die Aufmerksamkeit, die nicht nur im Kampfgeschehen, sondern ständig vorhanden sein soll. Diese Aufmerksamkeit ist eine innere Bewegung, die ein Budoka zulassen kann, um jede gegenwärtige äußere Bewegung wahrzunehmen und auf sie reagieren zu kö nnen. Zanshin bedeutet aber auch, frei und unbefangen von einer zur nächsten Bewegung übergehen zu kö nnen, ohne über die vorherige oder kommende nachzudenken. Man sollte sich auf das „Hier“ und „Jetzt“ konzentrieren, ohne jedoch auf einen bestimmten Umstand fixiert zu sein. Sich über eine missglückte Technik zu ärgern oder über eine kommende nachzudenken würde den sofortigen Verlust von Zanshin bedeuten. Durch die Haftung des Geistes würde die Unfähigkeit zur Handlung beginnen. Ebenso würden Zweifel am eigenen Kö nnen, Angst, Wut oder aggressive Absicht Zanshin blockieren. Ein sehr wichtiger Bestandteil von Zanshin ist, die Aufmerksamkeit nach einer beendeten Kampfaktion oder Kata nicht abrupt fallen zu lassen, sondern zuerst bewusst und kontrolliert wieder Maai herzustellen. Voraussetzung, um Zanshin entwickeln zu kö nnen, sind jahrelanges Training, Erfahrung und Vertrauen in die eigene Technik.
Zanshin ist niemals auf nur ein Ziel, einen Angriff oder eine Kraftanstrengung konzentriert. Es ist keine Tsunami-Flutwelle, die auf einmal irgendwo entsteht und dann plötzlich wieder verschwunden ist. Zanshin ist wie ein großer Ozean, bodenlos und lebendig in seiner latenten, wallenden Energie. Wie das rhythmische Anschlagen seiner Brandung, deren Widerhall lauter ist als das Geräusch des Anbrandens selbst, so bleibt auch die Stärke des Zanshin ständig präsent. (Zitat von: Pinsel und Schwert, Dave Lowry)
Wichtiger erscheint es mir jedoch, egal, welche Kampfkunst ausgeübt wird, dass Zanshin auch außerhalb des Dojos bewahrt und trainiert wird. In unserer Zeit, wo Egoismus, Gleichgültigkeit und Kriminalität immer größer werdende Probleme darstellen, sollte jeder Budoka mit Zanshin seinen Alltag meistern.